Zeitzeugengespräch mit Henriette Kretz

Am Jahrestag des entsetzlichen Attentats von Hanau wurde den Schülerinnen und Schülern des Römerkastell Alzey, insbesondere den Sozialkunde-Leistungskursen, eine Möglichkeit geboten, welche im Kontext des Zweiten Weltkrieges bald nicht mehr erlebbar sein wird: ein Zeitzeugengespräch.

Dieses Gespräch konnte in den aktuellen Zeiten natürlich leider nicht persönlich stattfinden, weshalb den 25 Schülerinnen und Schülern ein Online-Meeting über Zoom angeboten wurde. Trotz dieser ungewöhnlichen Umstände war es für alle eine sehr emotionale und einprägsame Erfahrung.

Das Gespräch wurde von Stephanie Roth, einer freiwilligen Mitarbeiterin des Bistum Mainz, geleitet. Nach einer ersten Einführung ihrerseits in die damalige geografische und geschichtliche Situation, trat Henriette Kretz dem Gespräch bei. Sie ist eine 87-jährige, jüdische Überlebende aus der damals polnischen Stadt Stanisławów und erzählt schon seit Jahrzehnten ihr Schicksal, um eine Wiederholung der Geschehnisse zu verhindern. Dabei ist es ihr ein großes Anliegen zu betonen, dass ihre Geschichte kein grausames Einzelschicksal ist:

„Meine Geschichte ist keine besondere. Es ist die Geschichte von eineinhalb Millionen Kindern, die keine Stimme mehr haben.

Etwa zwei Stunden erzählte Frau Kretz über ihre berührende und von Angst geprägte Kindheit, während die Schülerinnen und Schüler gebannt zuhörten.

Nach dem 1939 die Deutschen Polen überfielen, floh die damals 5 Jahre alte Henriette Kretz mit ihrer Familie nach Lemberg in der heutigen Ukraine zu ihrer Familie väterlicherseits. 1941 war die Familie dann auch dort nicht mehr sicher und musste in einen jüdischen Stadtbezirk umsiedeln, welcher später zu einem Ghetto wurde. Davor wollte ihr Vater Maurycy Kretz Henriette bewahren und ließ sie bei einer befreundeten Familie verstecken. Als sie dort nach einiger Zeit jedoch von den Nazis entdeckt wurde, musste sie in ein KZ. Die Zeit dort war von Angst und Krankheit geprägt und Henriette konnte nur entkommen, indem ihr Vater Bestechungsgelder zahlte. Danach kam das Mädchen zurück zu ihren Eltern ins Ghetto. Als sich die Lage auch dort verschlimmerte, wurden sie von einer polnisch-ukrainischen Familie monatelang versteckt. Allerdings wurden sie im Sommer 1944 verraten und als Folge musste Henriette mit ansehen, wie ihre Eltern erschossen wurden. Ihr Vater rief ihr noch zu sie solle laufen, und das tat sie auch. Sie lief bis sie ihre Beine nicht mehr tragen konnten. Schlussendlich landete sie in einem von Nonnen geführten Waisenhaus, in welchem sie sowie elf weitere Jüdinnen und Juden und drei Roma-Kindern versteckt wurden. Henriette Kretz sagt selbst, dass sie Schwester Celina Kędzierska ihr Leben verdanke.

Als der Krieg dann endlich endete, wurde Frau Kretz vom einzigen weiteren Überlebenden der Familie, ihrem Onkel Heinrich Kretz, aufgenommen und gemeinsam mit seiner Frau zogen sie nach Antwerpen, wo Henriette anschließend aufwuchs.

Nachdem die Zeitzeugin ihre Geschichte zu Ende erzählt hatte, trat erst einmal betroffenes Schweigen ein. Doch nachdem die Schülerinnen und Schüler die Geschichte etwas verarbeitet hatten, wurde auch die Fragerunde ergiebig genutzt. Jeder konnte seine Fragen an Frau Kretz stellen, welche sie auch gerne beantwortete. So erklärte sie unter anderem auf Nachfrage, dass sie keine Rachegefühle hege, sondern nur hoffe, dass sich derartiges niemals wiederholen wird.

Dieser Wunsch ist in Hinblick auf Hanau und andere rassistisch motivierte Anschlägen leider nicht in Erfüllung gegangen, doch die Hoffnung liegt immer in der jungen Generation, den Schülerinnen und Schülern.

Der Rat von Henriette Kretz: „Bleibt so, wie ihr seid!“.

Denn wenn wir uns alle keinen Hass gegen andere Menschen einreden lassen, dann werden sich solche Grausamkeiten auch nicht wiederholen können.

Emelie Hatzenbühler MSS13

BACK