Erzählungen einer Zeitzeugin der NS-Diktatur

Murmeln, Raunen und Stühlerücken, doch dann wird es plötzlich ganz still in der Aula des ,,kleinen Röka” in der Bleichstraße. Eine ältere Dame und ihre Begleiterin Frau Roth vom Bistum Mainz erheben sich und alle versammelten Schülerinnen und Schüler lauschen gebannt ihren Worten.
Denn vor den anwesenden Schülern der Geschichts-Ag und der beiden 12er Geschichts-Leistungskurse steht nun Alodia Witaszek-Napierała, Überlebende des NS-Regimes.
Während ihres einstündigen Vortrags berichtet die einundachtzigjährige von ihrer bewegten Geschichte als “Lebensborn-Kind”.
Der Lebensborn e.V. war ein Verein während der NS-Zeit, welcher sich als Ziel setzte, die Zahl ,,arischer” Kinder zu erhöhen, auch durch die Verschleppung von Kindern in besetzten Gebieten, welche den Anforderungen der nationalsozialistischen Rasseidealen entsprachen. Mit gerade einmal 5 Jahren, im Januar 1943, so erzählt es Frau Witaszek-Napierała, muss sie miterleben, wie ihr Vater erst verschleppt und wie sie erst viele Jahre später erfährt, hingerichtet wird. Auch ihre Mutter wird nicht verschont und nach Auschwitz deportiert, fünf kleine Kinder im Alter zwischen einem und acht Jahren bleiben zurück. Die Kinder werden getrennt und zum Teil von der Gestapo abgeholt und in das berüchtigte ,,Jugendverwahrlager Litzmannstadt” gebracht. Dort werden sie und ihre kleine Schwester für ,,rassenützlich” eingestuft und nach einigen Wochen in das sogenannte ,,Gaukinderheim” gebracht. Wunsch der NS-Regierung ist es, dort die Kinder möglichst schnell zu germanisieren und anschließend an deutsche Eltern weiterzuvermitteln. Und so kommt es, dass schließlich im April 1944 ihre ,,neue Mutter” das Kinderheim besucht, um ein ihr zugeordnetes Kind abzuholen, alles im Glauben ein deutsches Kind zu adoptieren, dessen Eltern im Krieg umgekommene seien. Ganze drei Jahre lang lebt sie nun bei ihrer neuen Familie in Deutschland, erlernt die deutsche Sprache und geht wie andere Kinder auch zur Schule. Erst längere Zeit nach Kriegsende, im September 1947, schafft es Frau Witaszek-Napierałas leibliche Mutter in den Wirren der Nachkriegszeit ihr Kind ausfindig zu machen. Bis zu diesem Zeitpunkt war ihrer Adoptivfamilie vollkommen unklar, dass es sich bei der kleinen Alodia um ein gestohlenes polnisches Kind handelte. Kurz vor Weihnachten kehrt sie zurück zu ihrer Familie nach Polen, die Mutter und ihre Kinder sind das erste Mal seit Jahren wieder vereint. Doch bis zu ihrem Abitur dauert es, so beschreibt es Witaszek-Napierała, bis sich eine Art von Normalität einstellt. Denn für sie heißt es nun, erst wieder Polnisch zu lernen. Sie und ihre Schwester haben es aufgrund ihrer Zeit in Deutschland schwer, sich in ihrer neuen Schule mit den Mitschülern anzufreunden, als vermeintliche Deutsche werden sie von vielen Kindern gemieden. Aber trotz all dem, was Frau Alodia Witaszek-Napierała und ihre Familie durchleben mussten, bricht der Kontakt zu ihrer deutschen Familie nie ab. Ihre beiden Mütter schreiben sich regelmäßig und werden sogar gute Freunde.

Nach Alodias Witaszek-Napieralas Vortrag, möchte Frau Roth wissen, ob es Fragen gibt, doch bevor die ersten Hände hochgehen, herrscht erst einmal tiefe Betroffenheit im Saal. „Aus dem Unterricht kennen wir sonst nur Quellen, doch wenn man eine Person mit so einer besonderen Geschichte vor sich hat, dann gewinnen die Worte an Emotion und man ist selbst unglaublich berührt”, beschreibt die 17-jährige Lena, was wohl die meisten Schüler denken.Wir staunen darüber, wie trotz all der Ungerechtigkeit, die Frau Witaszek-Napierała erleben musste, letztlich doch eine Versöhnung möglich war und danken ihr herzlichst dafür, dass sie den langen Weg aus Bromberg in Polen auf sich genommen hat, um uns ihre bewegende Geschichte zu erzählen.

Isabelle Nonnenmacher (AG Öffentlichkeitsarbeit)

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