Lernen mit Kopf, Herz und HAND – Röka im MAKERSPACE Alzey

„Arbeit und Selbstbestimmung“. So prägnant lautete der Titel der Unterrichtsreihe im Ethikkurs 9 a-c-f. Klang erstmal trocken und abstrakt. Doch schon beim Versuch zu bestimmen, was überhaupt Arbeit ist, wurde uns klar: Das, was wir hier zusammen tun, ist auch Arbeit. – Was kennzeichnet eigentlich gute Arbeit? Was entfremdete Arbeit? Wie hängen Arbeit, Leben und Identität zusammen? Was ist der Sinn der Arbeit? Kann man in einer sich über Lohn und Beruf definierenden Leistungsgesellschaft überhaupt selbstbestimmt leben? Die Fragen wurden drängender. Müsste nicht auch der Ethikunterricht dann selbstbestimmter sein!? Die Schüler/innen überlegten: „Expertengespräche“, „Themen, die einem weiterhelfen“, „als Gruppe gemeinsam etwas unternehmen“, „mit anderen interagieren“, „ eine Exkursion planen“ – so lauteten einige der Schülerantworten.
Gesagt, getan! Angebahnt von Hadil und Faiq aus der 9f begab sich der Kurs am Do., 9. 2., in das MAKERSPACE in Alzey. ‘Raus aus der Schule, ‘rein ins echte Leben!

Die Stadt Alzey bringt mit dem MAKERSPACE Berufsorientierung und Handwerk in die Innenstadt. In den zwei Räumen können sich Schüler/innen an verschiedenen Stationen, spielerisch und doch professionell, mit den unterschiedlichsten Materialien auseinandersetzen: an der Holzstation einen Handyhalter bauen, Fliesen schneiden und kleben, wie ein Goldschmied sein eigenes Schmuckstück herstellen, ein Kupferrohr zu einem Herzen biegen, elektronische Schaltungen erproben, ein kleines Mosaik legen, kleben und mit heim nehmen. Ein kleiner Ausschnitt aus den rund 130 handwerklichen Ausbildungsberufen in Rheinhessen.
Hans-Jörg Friese, Präsident der Handwerkskammer Rheinhessen, ließ es sich nicht nehmen, die Schüler/innen des Ethikkurses mit ihrem Lehrer Jens Pritzkoleit persönlich zu begrüßen. Gymnasiale Gruppen hatte er in dem von ihm initiierten Erprobungsraum in der Spießgasse bisher kaum zu Gast. Wie oft bekam er von Verantwortlichen zu hören, sein Angebot sei für Gymnasien nicht zielführend. Wer ein Gymnasium besuche, werde doch schließlich später studieren und keinen Handwerksberuf erlernen!

Dieser Einschätzung trat Sylvie Berndt von der Handwerkskammer mit ihrer Aufklärung entgegen. Sehr wohl könne man nach und mit einer betrieblichen Ausbildung die Fachhochschule besuchen und sich vielfältig weiterqualifizieren. Der Meister-Abschluss ist dem Bachelor-Abschluss gleichgestellt. Er eröffne die Möglichkeit, sich selbstständig zu machen.

Und auch die Schüler/innen sammelten in den drei Stunden außerhalb des Schulgebäudes durchweg positive Erfahrungen. Statt sitzen und denken im Klassenraum erprobten sie sich an der Station ihrer Wahl in ihrer Kreativität und in ihrem handwerklichen Geschick, sägten, bogen und werkelten hingebungsvoll, um schließlich stolz ihr eigenes Produkt in den Händen zu halten. Sie inspirierten und berieten sich gegenseitig.

Und der Lehrer? „Mit Kopf, Herz und Hand!“, kam ihm in den Sinn. So brachte einst der Schweizer Pädagoge Johann Heinrich Pestalozzi sein Bildungsideal ganzheitlichen Lernens auf den Punkt. Sah er das nicht gerade vor sich?
Sah er nicht gerade, was noch so gute Beratungsgespräche über die Bildungslaufbahn und die berufliche Orientierung nicht vermochten: eine echte Erfahrung an sich selbst zu sammeln. Trotz guter Beratungsarbeit am Gymnasium entwickeln Schüler/innen oft wenig Eigeninitiative, um in der so breit gefächerten Bildungslandschaft einfach einmal Alternativen zum dreizehnjährigen Weg bis zum allgemeinbildenden Abitur in den Blick zu nehmen.

Er sah zwei Schüler/innen, die nach Adressen für Praktikumsbetriebe fragten. Er konnte die Schüler/innen in ihren unterschiedlichen Begabungen wahrnehmen, kreativ die eine, geduldig und bedacht der andere. Mindestens, so dachte er, konnten die Schüler/innen heute über den schulischen Tellerrand hinausschauen. Das an sich war schon gut.
Vielleicht hatte aber mache/r von ihnen heute mehr von Arbeit und Selbstbestimmung, von Beruf und Identität verstanden als in seinem kopf- und wortlastigen Unterricht – ganzheitlich, mit Kopf, Herz und Hand. #machdeinhandwerk

Text und Fotos von Jens Pritzkoleit

 

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