„Rauf runter rauf runter Pünktchen drauf“ – Röka-Schüler beschäftigen sich mit der alten deutschen Schrift

In der Bibliothek des Lernzentrums haben sich neun Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 8 bis 11 versammelt und recken gespannt die Hälse. Neugierig versuchen sie, einen Blick auf ein dickes Buch in ihrer Mitte zu erhaschen. Denn bei diesem in Schweinsleder gebundenen „Wälzer“ handelt es sich um nichts Geringeres als um eine Originalbibel aus dem Jahr 1778 mit zahlreichen handschriftlichen Einträgen zu Ereignissen in der Familie des Besitzers.

Im Rahmen der Projektwoche beschäftigen sich die Schüler vier Tage lang mit der altdeutschen Handschrift unter dem Motto ,,Rauf runter rauf runter Pünktchen drauf”. Ihr Ziel ist es, nicht nur alte Dokumente wie Briefe, Urkunden oder Berichte zu entziffern, sondern auch selbst Texte in der Schrift unserer Vorfahren zu Papier zu bringen.

Um all dies in so kurzer Zeit zu bewältigen, hat Projektleiter Herr Dr. Schmahl am ersten Tag den Experten Herrn Erich Gottwein eingeladen, der schon viele Kurse zu diesem Thema durchgeführt hat. Eigens aus der Pfalz angereist, übt Herr Gottwein einen ganzen Vormittag lang mit den Teilnehmern das Alphabet und erläutert anschaulich und mit großer Begeisterung für das Thema die Besonderheiten des Alphabets. Obwohl einige Buchstaben noch eine erstaunliche Ähnlichkeit mit der heutigen Schrift haben, gibt es doch einige Besonderheiten. So enthält das Alphabet z. B. zwei verschiedene kleine ,,s”, die je nach Stellung im Wort anders gebraucht werden.

Nachdem am ersten Tag das Schreiben im Vordergrund gestanden hat, begeben sich die Schülerinnen und Schüler am zweiten Tag auf eine Zeitreise ins Jahr 1816. Herr Dr. Schmahl bringt ein Tagebuch aus Sachsen mit, in dem Helene Mühlig, eine junge Frau, in recht schmucker Schrift eine Rätselsammlung zu Papier gebracht hat. Mit Hilfe eines Alphabets und anhand ihrer bisherigen Kenntnisse sind die Schüler recht schnell in der Lage, die Rätsel zu entziffern. Schwieriger gestaltet sich hingegeben die Auflösung der gestellten Fragen, die Helene leider nicht aufgeschrieben hat. Dennoch gelingt es den Teilnehmern, die meisten „Nüsse“ schnell zu knacken.

Auch für den dritten Tag hat sich Projektleiter Dr. Schmahl etwas Besonderes einfallen lassen. Gemeinsam mit dem pensionierten Geschichtslehrer Herrn Hermann Schäfer besucht die Projektgruppe das Archiv der Verbandsgemeinde Alzey-Land. Im dortigen stimmungsvollen Gewölbekeller kann unter fachkundiger Aufsicht jeder nach Herzenslust in den wertvollen Unterlagen stöbern. Einige Schüler nutzen die Gelegenheit und gehen in historischen Standesamtsregistern und Grundbüchern ihrer eigenen Familiengeschichte nach. Andere blättern mit wachsender Begeisterung in alten Ausgaben der Alzeyer Zeitung. Am erstaunlichsten ist der Fund einer Anzeige aus dem Jahr 1922, in welcher der Kunstgärtner Jean Braun „am Steinweg“ seine Dienste anbietet. Nach ihm ist die Jean-Braun-Straße benannt, an der unsere Schule liegt.

Nach dem dreitägigen Crashkurs sind die Schülerinnen und Schüler auf die Texte gespannt, die sie in der am ersten Tag mitgebrachten Bibel entziffern können. Die auf leeren Blättern am Anfang des dicken Bandes über Generationen hinweg aufgeschriebenen Einträge ermöglichen es ihnen, der wechselhaften Geschichte des Buches und seiner Besitzer auf den Grund zu gehen und seine weite Reise von der Westpfalz über Kanada (die Besitzer der Bibel wanderten 1840 aus) bis nach Alzey (unser Lehrer ersteigerte das Buch vor einigen Jahren im Internet) zurück verfolgen.

Isabelle Nonnenmacher (MSS 11)

Wer sich für Helene Mühligs 38 Rätsel und ihre Auflösung interessiert bzw. selbst seine Kenntnisse in der alten deutschen Schrift testen möchte, findet nähere Informationen unter http://www.staff.uni-mainz.de/hschmahl/ProWoRoeka2018.html

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