Nächste Generation im Land der Dichter und Denker

Gesellschaft verändern auch ohne Kleber

„Wir leben in einem gefährlichen Zeitalter. Der Mensch beherrscht die Natur, bevor er gelernt hat, sich selbst zu beherrschen.“ (Albert Schweitzer) – und um das zu verhindern, gewinnt die Ethik immer mehr an Verantwortung und Einfluss auf medizinische und technische Entwicklungen. So auch an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, an der es ein Ethikkomitee gibt. Das haben die SchülerInnen des Gymnasiums am Römerkastell aus Alzey zum Anlass genommen, die Schule mit praktischer Erfahrung zu verknüpfen. „Mal das echte Leben erfahren“, wie der leitende Lehrer Herr Pritzkoleit die Veranstaltung beschreibt.

Die Idee hinter dem Studientag war es, den Schulalltag zu verlassen und zu erfahren, wo Philosophie im Alltag umgesetzt wird. Was als Exkursion mit zehn Leuten geplant war, hat sich schnell rumgesprochen: Außer dem Philosophiekurs der Abiturienten kamen noch einzelne Schüler aus Herrn Pritzkoleits Ethik Unterricht verschiedener Klassenstufen dazu. Am 02.03.2023 war es dann soweit: trotz Verspätung sind die 15 SchülerInnen gegen 9:15 Uhr an der Universitätsklinik angekommen. Dort wurden sie von Adriana Wohn aus dem Sekretariat vom klinischen Ethikkomitee in Empfang genommen, bevor die Veranstaltung in einem Hörsaal ihren offiziellen Anfang gefunden hat. Universitätsprofessor Dr. Norbert W. Paul, M.A., Direktor des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin und Vorsitzender des Klinischen Ethikkomitees der Universitätsmedizin Mainz, hat den Anfang gemacht. Mit dabei: Cornelia Wipprecht vom Masterstudiengang Medizinethik und Liliana Zucchello, wissenschaftliche Hilfskraft. Nach einer kurzen Vorstellung der Universität wurden die SchülerInnen an kritisches Denken herangeführt. Durch die Überleitung von der scheinbar banalen Aufgabe, einen Vogel zu definieren, zur Definition einer Krankheit und anderer medizinischer Begriffe, ist es Paul gelungen die SchülerInnen aller Altersgruppen mit ins Boot zu holen und selbst aktiv werden zu lassen. Versorgt mit Kaffee und Kuchen stellte Paul bei lockerer Atmosphäre klar: „Das hier ist eure Veranstaltung, nicht unsere.“ und die Schüler wussten: Hier ist Platz für eigene Ideen und Anmerkungen. Neben dem inhaltlichen Input, der an die Vorbereitung der Schüler angepasst war, gab der Universitätsprofessor auch Einblicke ins Berufsleben: egal ob allgemeine Herangehensweise, Beispiele oder Ausnahmefälle. Ganz wichtig war dem Professor: „Sagen Sie niemals zu einem Mediziner, er macht einen Job. Das ist kein Job, sondern ein Beruf oder eine Profession.“ Dabei beschrieb er zum Beispiel den ethischen Konflikt, den er als Arzt während Corona erlebt hat: Stellenweise wurden viele Operationen, die nicht lebensnotwendig waren, aufgeschoben, um die OP-Säle für mögliche Corona-Notfälle freizuhalten. Auch wenn er im Nachhinein erleichtert sagen kann, dass die Situation in dem Sinne nicht eskaliert ist, wie vielleicht zu erwarten war, ließ er einen am mulmigen Gefühl teilhaben, jeden Tag Patienten zu sehen, die den leeren OP-Saal nicht beanspruchen können.

Mit Humor und unter Einbeziehung der SchülerInnen klärte Paul über Themen wie die Transplantationsmedizin im Allgemeinen oder die Organspende auf. Beim Thema Lebertransplantation erreichte er die Jugendlichen: „Meistens ist es das Pils und nicht der Pilz, wegen dem man hier landet“. Dann wurde er abgelöst von Univ.-Prof. Dr. med. Julia Weinmann-Menke, Leiterin des Schwerpunktes Nephrologie und Nierentransplantation, Stellvertretende Klinikleitung der I. Medizinischen Klinik der Universitätsmedizin Mainz. Sie verknüpfte die medizinischen und ethischen Hintergründe und übertrug sie auf die Patienten, vor allem in Hinblick auf Nierentransplantationen: Wer darf spenden? Was sind die Schritte zur Transplantation? Welche Voraussetzungen erfüllen Spender und Empfänger? Durch den Vortrag von Weinmann-Menke konnten die SchülerInnen zum einen ihr eigenes medizinisches Wissen einbringen und zum anderen die theoretische Herangehensweise in der Umsetzung nachvollziehen. Was die Schüler, aber vor allem die Schülerinnen, bis dahin nicht wussten: Paul hat absichtlich Weinmann-Menke mit ins Boot geholt, um den Schülerinnen, von denen sich einige beruflich im medizinischen Bereich orientieren, ein Vorbild einer erfolgreichen Ärztin zu präsentieren, die nebenbei auch Familie hat, um von alten Rollenbildern weg zu kommen und die Schülerinnen zu ermutigen ihre Ziele zu verfolgen.

Für die SchülerInnen war das eine Möglichkeit, die Philosophie nicht nur auf dem Blatt, sondern im „echten Leben“ zu sehen und einiges für ihr eigenes Leben, egal ob Karriere oder die Bereitschaft zur Organspende, mitzunehmen. Den Abschluss hat die Veranstaltung bei einem gemeinsamen Lunch gefunden, bei dem die SchülerInnen im lockeren Gespräch weitere Fragen mit den Professoren klären konnten.

Text: Helena Hummel (MSS 13)

Foto: Hr. Pritzkoleit

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